Das Wirtschaftswunder

Die fünfziger und sechziger Jahre werden die Zeit des „Wirtschaftswunders“ genannt. Es waren die Jahre des Wiederaufbaus.

Hans Jürgen Buchholz stellte 1970 eine Untersuchung über „Formen des städtischen Lebens im Ruhrgebiet“ an. Eins seiner Beispiele ist der Essener Stadtteil Holsterhausen. Buchholz kommt zu dem Ergebnis, dass ungefähr drei Viertel aller Wohnungen bzw. zwei Drittel der Wohngebäude in Holsterhausen in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg gebaut worden sind. Die meisten Wohnungen erhielten einen „Grad der Modernität, der keineswegs in allen Stadtteilen erreicht wird“.

Tatsächlich: Holsterhausen blühte auf. Es wurde gebaut wie nie zuvor. Viele Flüchtlinge aus Deutschlands Osten wurden aufgenommen. Bald war die Einwohnerzahl von 1939 wieder erreicht.

Alte Häuser, ja ganze Siedlungen wurden abgerissen und nach großzügiger und moderner Planung neu errichtet, so die Kruppsche Siedlung nördlich der Kaulbachstraße und die Kolonie Alfredshof beiderseits der Kruppstraße.

Es verschwanden die letzten Felder, so das Degener-Feld zwischen Krupp- und Keplerstraße, das Feld zwischen Windmühlenstraße, Keplerstraße und „Köters Weg“, die Felder zwischen Cornelius- und Lenbachstraße. Selbst Schrebergärten am Ostrand des Frettholzes wurden aufgegeben, hier wurden die Defreggerstraße von Osten her und die Halbe Höhe von Süden her verlängert und zu beiden Seiten bebaut.

Die Stadt legte die Hausackerstraße zwischen Windmühlen- und Kämpenstraße an, und zwar auf Trümmerschutt, den man dort abgelagert hatte. Sie erweiterte die Kaulbachstraße bis zum Holsterhauser Platz auf vier Spuren. Die Kruppstraße wurde tiefer gelegt und erweitert.

Kinderspielplätze (so an der Camphausenstraße, der Cornelius- und Windmühlenstraße) wurden geopfert, damit neue Häuser gebaut werden konnten.

An der Papestraße entstand auf dem Gelände, auf dem früher der Sportplatz der Kruppschen Turngemeinde war, das Jugendzentrum. Beiderseits der südlichen Rubensstraße, wo früher eine Ziegelei stand, wurde ein Schulzentrum gebaut (Bildungsanstalt für hauswirtschaftliche und sozialpädagogische Berufe mit angegliedertem Kindergarten, Cranach-Gemeinschaftsschule und die Realschule Holsterhausen, die später in die Gesamtschule Holsterhausen umgewandelt wurde).

 

Essen Holsterhausen wird aufgebaut

An die Zeit des Wiederaufbaus erinnert Waldemar Ottos „Mann aus der Enge hervortretend“. Diese Skulptur hat der Holsterhauser Bürgerbund im Jahre 2007 auch als Erinnerung an die Zeit nach dem 2. Weltkrieg an der Ecke Gemarkenstraße / Menzelstr. aufgestellt: Holsterhausen war „Auferstanden aus Ruinen“.

Im Süden wurde am 15. April 1951 die Gruga wieder eröffnet. 1964 wurde sie erheblich erweitert. Damit stieg der Wohn- und Freizeitwert Holsterhausen erheblich an.

Essens Struktur wandelte sich. Der Handel gewann an Bedeutung: Essen nannte sich Einkaufsstadt.

Man siedelte neue Firmen und ihre Verwaltungen an, die mit ihren Hochhäusern (RWE, Rheinstahl, Ferrostaal, Postscheckamt u.a.) das Stadtbild veränderten: Essen wurde Verwaltungsstadt.

Am 1. Januar 1958 wurde Essen Bischofssitz. Seit dem 1. August 1972 nennt sich Essen mit Stolz Universitätsstadt.

 

Einwohnerzahlen Essen Holsterhausen

Für Holsterhausen bedeutete das eine erheblich Änderung der Sozialstruktur. Schon die Volkszählung 1961 brachte wichtige Aufschlüsse. Die alten Berufe Landwirt und Bergarbeiter waren praktisch verschwunden (Landwirte und landwirtschaftliche Arbeiter 0 %, Bergarbeiter 0,2 %). Die Zahl der Arbeiter (8,5 %), Facharbeiter (7 %), Industriemeister
(1,8 %) und handwerklichen Facharbeiter (3,2 %) war da schon etwas höher. Handwerksmeister und selbständige Geschäftsleute machen immerhin 8,4 % aus.
Auffallend aber ist, dass schon damals die Hälfte aller Erwerbspersonen (49 %) Angestellte und Beamte waren. Dass außerdem 22,2 %, also fast ein Viertel der Erwerbspersonen, Rentner waren, zeigt, dass der Stadtteil langsam überalterte.

Die Einwohnerzahl ging zurück. Im alten „Dreibauerschaftenquartier“ wohnten:

Jahr Einwohner
1961 131257
1967 122540
1970 116599

Obwohl der Wohnwert Holsterhausens eher zugenommen hatte, gab es weniger Menschen. Die Nähe der Innenstadt, die Nähe von Erholungsgebieten (Margarethental, Mühlenbachtal, Sommerburg, Gruga) und das eigene Gesicht Holsterhausens konnte nicht verhindern, dass die Einwohnerzahl weiter zurückging.

Mögen auch manche Einwohnerbedauern, dass es in Holsterhausen an Spiel-, Sport und Hallenplatzflächen fehlt, mögen auch einige ihren Schrebergarten vermissen, es gibt seitens der Stadt Essen einen Ziel- und Maßnahmenkatalog, den Wohnwert Holsterhausens noch weiter zu verbessern.

Unter anderem wurden geplant:

Förderung der Wohnungszusammenlegung, Blockentkernung zugunsten von Grün- und Freiflächen, schrittweiser Ausbau der Gemarkenstraße zur Fußgängerstraße, Modernisierung von Wohnbereichen, um die Verslummung gefährdeter Quartiere zu verhindern, Erhaltung und Ausbau vorhandener Grünflächen.

Holsterhauser Geschäftsleute sorgten unter der Leitung von Jürgen Bessel für eine Weihnachtsbeleuchtung auf der Gemarkenstraße. Dort fand auch viele Jahre der „Bunte Herbst Holsterhausen“ statt.

Dr. Norbert Küpper